Räuber, Hexen, Zauberer.
Sagen, Legenden und alte Gerichtsfälle.


Geisterfurcht rettet die Tilgener

Im Dreißigjährigen Krieg blieb auch unsere nähere Heimat nicht von Beschlagnahmen, Plünderungen, Vergewaltigungen und Mord an der wehrlosen Bevölkerung verschont.
Der Glauchauer Chronist vermerkte: "Die Stadt ist bald von Freunden bald von Feinden ruiniert und beschädigt worden". 1632 wurde unsere Gegend besonders durch die Truppen des kaiserlichen Generals Holk verwüstet. Als Holk, von Plauen kommend, über Glauchau und Chemnitz nach Freiberg zog, befahl sein Obrist Corpitz am 15. August, das Lichtensteiner Schloss erst zu plündern und dann niederzubrennen. Auch die Stadt ließ er anzünden.
Ende September wurden in Oberlungwitz von den Kroaten die Torhauspforte und die Eingangs und Sakristeitüren der Kirche zerschlagen und der silberne und der vergoldete Kelch sowie die silberne Hostienschachtel und das seidene Altartuch geraubt.
Nachdem General Holk Freiberg erobert hatte, kehrte er zurück. Dabei ließ er auch die evangelischen Pfarrer von Beutha, Härtensdorf, Reinsdorf und Crossen erschießen.
Am 10. Dezember plünderten die kaiserlichen Kriegsvölker wieder in der Gegend um Lichtenstein und in Hartenstein. Sie sollen dabei mehr als zweihundert Schafe und hundert Rinder weggeschleppt haben.
Im August 1633 zogen die kaiserlichen Truppen erneut Richtung Chemnitz. Dabei kam es in Oberlungwitz mehrfach zu Plünderungen.
In jenem Kriegsjahr 1632, vielleicht auch im Jahre 1633, könnte sich auch die Geschichte ereignet haben, die ich nun erzählen möchte:
Angst vor Geistern und Zauberern richtete oft großes Unheil an, die Tilgener (Tilgen = St. Egidien) edoch fanden im Dreißigjährigen Krieg an einem "unheimlichen Ort" Schutz und Sicherheit für ihre Familien und ihr Hab und Gut, und die Geisterfurcht eines Holkschen Offiziers soll ihrem Pfarrer das Leben gerettet und das Dorf vor schlimmer Einquartierung und Plünderung bewahrt haben.

Als der Tilgener Pfarrer Andreas Meyer von einem Besuch bei seinen alten Eltern in Glauchau zurückkehrte, brachte er keine guten Nachrichten mit. In Glauchau lagen die Schweden und nahe der Stadt hielten sich die Kaiserlichen auf. Vermutlich nicht lange, und die Söldner würden auch in Tilgen plündern und brandschatzen.
Der Pfarrer bangte besonders darum, dass die heiligen Gerätschaften, die Kelche und Becken, die silbernen und vergoldeten Leuchter und die wertvollen Kanzeldecken, gestohlen werden könnten.
Während der Pfarrer noch seine Sorgen mit seiner zahlreichen Familie besprach, suchten ihn der Küsterund einige Bauern auf. Sie hatten beobachtet, dass sich Landsknechte dem Dorfe genähert, nach der Kirche gewiesen und bald wieder weggeritten waren.
Bestimmt würden sie mit Verstärkung zurückkehren. Nur rasches Handeln konnte helfen.
Der Pfarrer ließ einen alten Holzfäller rufen, von dem er wusste, dass er die geheimen Pfade und Plätze des Rümpfwaldes gut kannte.
Er sollte die Frauen und Mädchen und die Wertsachen in den Wald in Sicherheit bringen. Niemandem verrieten sie den Ort.
Mit Verpflegung für eine Woche und allem, was es in der Kirche und im Dorf an Wertvollem gab, folgten die Frauen und Mädchen dem Holzfäller in die Tiefen des Rümpfwaldes. Durch eine sumpfige Schlucht und urwaldartiges Gelände führte dieser sie bergan bis zu einem Ort, wo große Steinblöcke ähnlich einem Wall beieinander lagen.
Hier errichteten sie Schutzhütten aus Reisig.
Eigentlich war dieser Ort verrufen, weil nach der Überlieferung hier Sorben ihren Göttern Menschen geopfert haben sollen, doch die Angst der Frauen vor den Landsknechten war größer als ihre Geisterfurcht.

Am anderen Tag, gerade als der Küster die Totenglocke der Aegidiuskirche für eine alte Frau läutete, die am Morgen verstorben war, kam ein Trupp Landsknechte auf die Kirche zugeritten. Der Pfarrer trat ihnen im Talar entgegen. Er hoffte wohl, so größeres Unheil vom Dorf abwenden zu können. Doch sein Gruß wurde nur mit Flüchen und Schimpfworten erwidert. Die Plünderer drangen in die Kirche und ins Pfarrhaus ein.
Ihr Offizier jedoch wollte vom Pfarrer wissen, wem er mit dem Läuten ein Zeichen gegeben habe. Er bezichtigte ihn, dem Feind die Ankunft der Truppe gemeldet zu haben. Vergebens beteuerte der Pfarrer, er habe nur die Totenglocke läuten lassen. Der Offizier ließ ihn binden und drohte ihm mit der Tortur. Und sicher wäre diese dem Pfarrer nicht erspart geblieben, wenn nicht in diesem Augenblick ein Meldereiter gekommen wäre, der dem Offizier eine offenbar wichtige Meldung übergab. Der Offizier ließ sofort zum Aufbruch blasen. Und er befahl, den Pfarrer für seinen angeblichen Verrat zu hängen.
Es half kein Flehen. Die Landsknechte schleppten den Pfarrer in die Stube, befestigten einen Strick am Deckenbalken, legten ihrem Opfer die Schlinge um den Hals, stellten es auf einen Schemel und stießen diesen um.
Danach ritten sie mit ihrem Offizier eilends davon. Der Sohn des Pfarrers und der Küster kümmerten sich sofort um den Pfarrer. Vorsichtig lösten sie die Schlinge. Es erschien ihnen wie ein Wunder, der Pfarrer lebte noch.
Monate waren seitdem vergangen. Mehrfach hatten die Bauern inzwischen an jenem geheimnisvollen Ort im Rümpfwald Zuflucht gefunden, als an einem Abend völlig unerwartet wieder Truppen in Tilgen einritten.
Während die Söldner in den Bauernhäusern Quartier bezogen, und Wein und gutes Essen verlangten, ritt ihr Anführer mit mehreren Männern zum Pfarrhaus. Vermutlich wollten sie die Kirchenschätze rauben.
Doch es vergingen nur wenige Augenblicke, bis die Landsknechte und ihr Offizier unter wildem Geschrei aus dem Pfarrhaus stürmten und sich auf die Pferde schwangen. Der Offizier ließ zum Aufbruch blasen, und die Landsknechte verließen Tilgen, ohne dass sie größeren Schaden angerichtet hatten.
Als der Offizier mit seiner Rotte zum Pfarrhaus gekommen war, bereitete Pfarrer Meyer den Besuch bei einem Sterbenden vor. Er trug seinen Talar und verwahrte gerade den Kelch und den Abendmahlswein in seiner Tasche, als die ungebetenen Gäste in die Stube drängten.
Der Pfarrer erkannte in dem Offizier sofort jenen Mann wieder, der seine Hinrichtung befohlen hatte. Er empfahl seine Seele in Gedanken Gott und faltete die Hände zum Gebet. Doch plötzlich schrie der Offizier auf, wie jemand, der etwas Entsetzliches gesehen hat, und stürzte in großer Hast aus der Pfarrstube.
Auch er hatte den Pfarrer wiedererkannt, glaubte jedoch, der Geist des ermordeten Pfarrers sei erschienen, um ihn für den Mord zu strafen. Deshalb suchte er sein Heil in der Flucht.


Der Kohlenbetrug

In den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließen die reichen Steinkohlenfunde im Raum Neuoelsnitz-Lugau-Niederwürschnitz auch weiter westlich unter den Fluren um Hohndorf, Lichtenstein und Bernsdorf auf ähnlich mächtige Kohlenflöze hoffen. Vermögende Hohndorfer und Bernsdorfer Bürger gründeten deshalb 1847 die Aktiengesellschaft "Hohndorf Bernsdorfer Steinkohlenverein" mit dem beträchtlichen Stammkapital von 1 500 000 Mark und erwarben von den Bauern 381 Hektar Grubenfelder.
Bereits im Februar 1848 begann unter der Leitung von Direktor Maul Bohrmeister Opitz mit dem Abteufen eines Schachtes auf Bernsdorf-Hohndorfer Flur. Nach 84 Metern Teufe durch Lehm, Rotliegendes und Mantelsteinplatten trieben die Arbeiter ein Bohrloch voran. Ein langwieriges, mühevolles Unternehmen, doch Bohrmeister Opitz war zuversichtlich. Die durchbohrten schwachen Kohlenschichten schienen darauf hinzudeuten, dass man in der Tiefe auf mächtige Flöze stoßen würde.
Jahre vergingen. Mit jedem Monat wurden die Aktionäre ungeduldiger. In einer Tiefe von 319 und 321 Metern seien Kohlenbrocken gefunden worden, vertröstete sie Direktor Maul. Als dennoch nach bald acht Jahren erfolgloser Bohrarbeiten die Geldquellen zu versiegen drohten, gab er die Meldung an die Leipziger Zeitung, in Bernsdorf sei jetzt eine Tiefe von 448 Metern erreicht worden, reiche Kohlenfunde stünden bevor.
Neue Aktionäre fanden sich. Nun wurden auch Übertageeinrichtungen angelegt. Maul und Opitz beschäftigten immer mehr Arbeiter und erhielten immer höhere Gehälter.
Angeblich gab es viele Anzeichen für baldige große Kohlenfunde, doch die Aktionäre erwarteten endlich Beweise. Wieder drohte das Geld für die Bohrungen auszugehen. Diese hatten bereits eine Tiefe von 518 Metern erreicht, nur ein paar Meter konnten sie noch vom Flöz trennen...
Ende Dezember 1863, nach 15 Jahren endlich, war man in Bernsdorf fündig geworden. Pechkohle bester Qualität.
An den Börsen schnellten die Kurse für Hohndorf Bernsdorfer Steinkohlenaktien in die Höhe. In Bernsdorf, Lichtenstein und Hohndorf wurde gefeiert, Böllerschüsse hallten wider.
In feierlichem Umzug trugen Bergleute die prächtigen Stücke Pechkohle in die Bernsdorfer Kirche und legten sie vor dem Altar nieder. Bergleute und Bauern dankten im Gottesdienst für den Bergsegen. Das Dorf würde nun aufblühen wie Oelsnitz und Lugau. Voller Hoffnung betrachteten die Menschen die erste Bernsdorfer Kohle. Die einen dachten an Arbeit und Brot, andere an hohe Dividenden.
Beim Bergbier nach dem Gottesdienst lobten Oelsnitzer Bergleute die Qualität der erbohrten Pechkohle, sie sei vergleichbar mit jener der Kohlen des Hedwig Schachtes.
In diesen Dezembertagen ahnte niemand, dass wirklich Kohle des Hedwig Schachtes vor dem Altar lag.
Maul und Opitz hatten während der Weihnachtsfeiertage Steinkohlen aus Oelsnitz geholt und in das Bohrloch geschüttet.
Sie wollten um jeden Preis die Bohrarbeiten fortsetzen, so fest glaubten sie daran, doch noch auf das mächtige Kohlenflöz zu stoßen.
Mehr als 10 Jahre sollte es noch dauern und Millionen Mark kosten, bis der Betrug von Direktor Maul und Bohrmeister Opitz offenbar wurde.


© Regina Röhner